Wie jedes Jahr haben wir eine Winterwoche im Oberengadin verbracht, diesmal in Pontresina. Das Engadin hat mich schon als Kind fasziniert. Die viele Sonne, die Gebirgslandschaft, die auch gleichzeitig Weite und Grosszügigkeit ausstrahlt. Und die Menschen dort, freundlich und hilfsbereit. Ihre Sprache, das Romantsch, klang für mich als Jugendlicher wie Italienisch, aber schweizerdeutsch ausgesprochen.
In meiner Kindheit war ich mit der Familie meines Onkels in Celerina, jeweils 2 oder 3 Wochen. Die erste Woche tat mein Onkel – der damals wohl weniger alt war als ich heute – gar nichts. Er müsse sich erst «akklimatisieren». Ab der zweiten Woche begann man dann, kleinere Wanderungen zu machen, später grössere. Dabei erfuhr ich so manches über das Leben und die Ansichten, die mein Onkel über Politik und Leben hatte. Und stellte fest, dass nicht alle Menschen so dachten wie mein Vater und dass man z.B. über Politik ganz verschiedene Ansichten haben konnte. Aber immer hatten wir viel Zeit, die ich auch nutzte um meine Cousine zu plagen.
Und wie sehe ich das Engadin heute? Die Landschaft des Oberengadins ist immer noch einzigartig. Die Luft rein, die Sonne intensiv. Aber sonst hat sich vieles verändert. Der Tourismus ist omnipräsent, ganz offensichtlich die Haupteinnahmequelle geworden, dem man alles unterordnen muss. Nicht nur St.Moritz, auch Pontresina ist zur Stadt geworden, die Ortschaften haben ihren Dorfcharakter weitgehend verloren. In den Restaurants ist einheimisches Personal selten, die Speisekarte wurde auf Vielesser umgestellt, man serviert pseudo-engadinische Küche. Die Eingriffe in die Landschaft sind zwar erheblich, es müssen Platz und Transportmöglichkeiten für die Skifahrer bereitgestellt, Schneekanonen für die Pisten aufgestellt werden. Mensch und Tier sind zahlreich und in gewissen Tälern sind es wirklich viele, einsam ist man nur noch selten. Der Hundekot kann und muss weggeräumt werden, für die Pisse gibt es aber offensichtlich noch kein System. So sind den die so schön hergerichteten Winterwanderwege an den Rändern oft mehr gelb als schneeweiss. Aber die Landschaft ist erstaunlich robust und erträgt viel. Fährt man ins Unterengadin, findet man auch noch wenig begangene Weg und einsame Täler. Und eines muss man sagen, die Winterinstallationen werden doch so schonend als möglich erstellt, im Sommer sieht man kaum hässliche braune «Autobahnen» an den Berghängen.
So verzaubert das Engadin noch immer. Photos